-> read in english

ÖSTERREICHS (KULTURELLER) WOHLSTAND

Die UTE Konferenz “Europäische Theaterstrukturen” in Belgrad zeigte die luxuriöse Situation österreichischer Theater im Vergleich zu den osteuropäischen Nachbarn auf. Andrea Ruis von der Abteilung Kunst und Kultur des Bundeskanzleramts Österreich und Anna Badora, künstlerische Leiterin des Volkstheaters in Wien, schilderten eindrucksvoll, welchen Wert und Wohlstand das Theater in Österreich genießt.

Volkstheater Wien © www.lupispuma.at

In der Saison 2014/2015 wurden 6,09 Millionen Karten für mehr als 15.000 Aufführungen verkauft – bei etwas mehr als achteinhalb Millionen Einwohnern ist das ein kategorischer Beweis für Österreichs Theaterversessenheit! Bei den großen Wiener Theatern kommen mehr als 3,8 Millionen verkaufte Eintrittskarten auf 1,8 Millionen Wiener. 2016 hat die Republik Österreich zudem ihren Theatern beeindruckende 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Bei solchen Zahlen ist es also nicht verwunderlich, dass die Bundesregierung 1988 ein Kunstförderungsgesetz verabschiedete, das die fortwährende Finanzierung der Künste zwingend vorschreibt.

Österreich kann alle Formen an Theaterinstitutionen vorweisen: Vom international renommierten Burgtheater bis zu unzähligen Kabaretts, intimen Kellertheatern und der freien Szene. Als große Institutionen gibt es Staats-, Landes-, Stadt- und Privattheater; zusammen beschäftigen sie mehr als 5.000 Schauspieler, Regisseure und Verwaltungsangestellte, die fast das ganze Jahr über gefeierte Werke auf die Bühne bringen. Die Namen dieser Institutionen verweisen auf deren historischen Hintergrund und finanzielle Struktur.

Staatstheater entwickelten sich aus den ehemaligen österreichisch-ungarischen k.u.k. Hoftheatern. Einige der bekanntesten Namen in diesem imperialen Theatergespann sind die weltberühmte Wiener Staatsoper, die Volksoper und das Burgtheater, das zweitälteste Sprechtheater Europas. 1999 verabschiedete das österreichische Parlament das Bundestheaterorganisationsgesetz, das staatliche Theater von der Bundesverwaltung aus- und in die Bundestheater-Holding eingliederte.

Ziel der Bundestheater-Holding-Gruppe, die der Republik Österreich gehört, ist es, den Kontakt zwischen seinen vier Tochtergesellschaften und politischen Akteuren im Kulturbereich, der Wirtschaft und der Öffentlichkeit zu erleichtern. Die Holding ist darüber hinaus für die strategische Führung und den operativen Betrieb ihrer Tochtergesellschaften verantwortlich, was alles von der finanziellen und rechtlichen Unterstützung bis zu Vertragsabwicklungen und den Erhalt historischer Theatergebäude umfasst. Neben drei eigenständigen Theatern (Wiener Staatsoper, Volksoper, Burgtheater, alle in Wien) ist auch der Verein “ART FOR ART”, der Kreativgeschäfte und Ticketing, Gebäudemanagement und IT-Dienstleistungen anbietet, Teil der Holding. Mit einem Budget von 246,2 Millionen Euro und 2.400 Mitarbeitern ist die Bundestheater-Holding der größte Theaterkonzern der Welt. Seine drei Mitgliedstheater ziehen jedes Jahr ganze 1,3 Millionen Zuschauer an. Die Bundestheater-Holding bietet ihren Theatern eine weitreichende Unterstützung im Business Management, sodass sie sich auf den Kern ihrer Arbeit konzentrieren und hochwertige Theaterproduktionen auf die Bühne bringen können.

Die zweite Form von Theater sind die Stadt- und Landestheater, die die zentralen Bühnen der Bundesländer und Städte sind. Die Bundesländer haben ebenfalls Holdinggesellschaften, wie, zum Beispiel, die Vereinigten Bühnen in Wien (Wien ist nicht nur Österreichs Hauptstadt, sondern auch ein eigenes Bundesland), die sich aus dem Theater an der Wien, dem Ronacher und dem Raimund Theater zusammensetzen. Diese drei Theater bieten in ihren Veranstaltungsorten mit 1070, 1040 und 1255 Plätzen in erster Linie Musiktheater an und erreichen mit jährlich 644 Aufführungen ein beachtliches Publikum. In der Steiermark, mit Graz als zweitgrößter Stadt Österreichs, zählen die Oper (einschließlich Ballett), das Schauspielhaus und das Kindertheater Next Liberty zur Theater-Holding Graz/Steiermark; diese wird zu 50% vom Land und zu 50% von der Stadt finanziert.

In acht der neun Bundesländer gibt es Stadt- und Landestheater, von denen die meisten ehemalige Hoftheater sind und aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammen. (Hoftheater wurden vom Hof finanziert und verwaltet, im Gegensatz zu den Volkstheatern, die privat finanziert und der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich waren). Meistens handelt es sich um so genannte “Mehrspartenhäuser”, die in der Regel Oper, Schauspiel, Ballett und Kindertheater umfassen. Sie werden hauptsächlich vom Land und der Stadt finanziert. Diese Theater sind Teil des Theatererhalterverbandes Österreichischer Bundesländer und Städte, dessen Ziel es ist, die Interessen seiner Mitglieder zu vertreten und das Fünfjahresbudget des Bundes von 18,7 Millionen Euro im Interesse aller zu verteilen. Seine Mitglieder, darunter das Salzburger Landestheater, die Oper Graz, das Tiroler Landestheater und das Stadttheater Klagenfurt, bieten jährlich mehr als 3.000 Aufführungen für über eine Million Zuschauer und erhalten insgesamt eine Subvention von 136 Millionen Euro.

Das 19. Jahrhundert war die Blütezeit der Stadt- und Landestheater, was die Architekten Fellner & Helmer dazu inspirierte, sich auf deren Bauten zu spezialisieren. Die berühmten Fellner & Helmer Gebäude sind in ganz Mittel- und Osteuropa zu finden. Alleine in Österreich errichteten sie das Grazer Opernhaus, das Landestheater Salzburg, das Stadttheater Baden bei Wien, das Stadttheater Klagenfurt, das Akadmietheater, das Konzerthaus, das Ronacher und das Volkstheater in Wien. Vor diesen architektonischen Wahrzeichen tummeln sich seit jeher jeden Abend zahllose begeisterte Zuschauer und zeichnen so die Stadttheater bis heute als die zentralen Theaterinstitutionen der österreichischen Landeshauptstädte aus.

In einer dritten Kategorie befinden sich die sogenannten Privattheater, wie das Volkstheater, das Theater in der Josefstadt und das Theater der Jugend. Zusammen bringen sie mehr als 1.500 Vorstellungen pro Jahr für mehr als 600.000 Zuschauer auf die Bühne. Ganz Allgemein könnte man sagen, dass das Volkstheater einem kritischen Publikum innovatives Theater zeigt, während das Theater in der Josefstadt einem eher konservativen und traditionsbewussten Publikum gerecht wird und das Theater der Jugend ambitionierte Literatur für Jugendliche aufbereitet.

Die Privattheater wurden ursprünglich von Stiftern als Gegenstück zum Hoftheater gegründet. Ihre Finanzierung kommt heute jedoch nicht mehr von Stiftern, sondern von der Stadt Wien und dem Bund (ca. 60% bzw. 40%), was den Begriff “Privattheater” in Österreich effektiv obsolet macht. Aus rechtlicher Sicht wurden die Privattheater von privaten Unternehmen in Stiftungen, Vereine oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung umgewandelt.

Da der Großteil der Finanzierung vom Bund und der Stadt Wien kommt, werden die Intendanten vom Kultursekretär (Gernot Blümel) und dem Kulturstadtrat (derzeit Andreas Mailath-Pokorny) nominiert. Einer der größten Vorteile für die geschäftsführenden Intendanten, Privattheater als Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu führen, ist die daraus resultierende Entscheidungsfreiheit. Sie können ihr Budget frei verwalten, ihre Mitarbeiter autonom einstellen und entlassen, und haben vollständige Kontrolle über ihr Programm. Anna Badora, künstlerische Leiterin des Volkstheaters in Wien, sagt: “Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass dies das beste System für Theater auf der ganzen Welt ist.” Tatsächlich ist die starke finanzielle Position des Volkstheaters gepaart mit einer großen unternehmerischen und künstlerischen Freiheit ein Privileg, um das die meisten Theater anderorts sie beneiden würden.

Das scheinbar ideale Theatersystem Österreichs ist jedoch mit subtilen Mängeln behaftet. Die Subventionen befinden sich jedes Jahr in einem ähnlichen Rahmen, während Fixkosten wie Miete, Strom oder Gebühren und Gehälter jedes Jahr ansteigen. Jedes Theater muss diese Kostenlücke mit Geld aus der eigenen Tasche, meist aus dem Verkauf der Eintrittskarten, decken. Ein Großteil der Häuser hat jedoch bereits eine sehr gute Auslastung, weshalb Theater darauf angewiesen sind, immer wieder neue Finanzierungsmöglichkeiten auszuschöpfen, was schnell von ihrer eigentlichen Aufgabe ablenken kann.

Darüber hinaus ist der Wettbewerb zwischen den Theatern groß, insbesondere in Wien, und die Beziehungen untereinander, sowie mit politischen Interessengruppen, müssen mit großem Feingefühl gepflegt werden. Feine Mehrdeutigkeiten und Doppelspiele führen, wie überall, zu einer Behinderung der Produktivität der Theaterleiter.

Aus Sicht der Arbeitnehmer sind österreichische Theaterverträge zwar im internationalen Vergleich durchaus akzeptabel, sie sind aber dennoch nicht perfekt. Speziell junge Schauspieler haben wenig Absicherung, viel weniger als zum Beispiel Bühnenarbeiter. Ein Intendantenwechsel geht in der Regel mit dem Wechsel des Mitarbeiterstabs einher, wodurch Schauspielerverträge, speziell die der jungen, häufig zeitgleich mit dem Ende der Intendanz auslaufen. Nichtsdestotrotz haben auch junge Schauspieler in Österreich eine privilegierte Situation verglichen mit den Ländern, die auf der Konferenz in Belgrad vertreten sind, wo man von einem unbefristeten Vertrag für einen Schauspieler nur träumen kann.

Zurück zum österreichischen Theater. Wien ist selbstverständlich das Zentrum der vielfältigen und kompakten Theaterlandschaft des Landes. Das Kulturbudget der Hauptstadt beträgt 84 Millionen Euro und liegt damit weit über den übrigen Bundesländern für ein sehr großes Publikum: allein die drei Haupttheater ziehen mehr als 1,3 Millionen Menschen pro Jahr an. Mit mehr als 90 Theatern, und schätzungsweise 500 unabhängigen Gruppen, ist Wien die Heimat der renommiertesten Theater des Landes und hat einige international hoch anerkannter Häuser.

Das Burgtheater, oder “Die Burg”, wie dieses weit bekannte Theater auch genannt wird, ist ein einzigartiges kulturelles Phänomen. Unter der Herrschaft von Josef II. blühte die Theaterwelt in Wien so richtig auf und er ernannte das Burgtheater zum Deutschen Nationaltheater. Statt Oper und Ballett wurde das Drama nun ins Rampenlicht gerückt, mit besonderem Schwerpunkt auf europäischer Literatur. Das Burgtheater ist das größte Sprechtheater und eines der renommiertesten Häuser der deutschen Theaterlandschaft: rund 550 Personen sind an der Burg beschäftigt, davon 74 feste Ensemblemitglieder. Zusätzliche 38 Gastdarsteller sind regelmäßig auf den Bühnen des Burgtheaters zu sehen. Zum Vergleich: Deutschlands größtes Theater, das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, hat 47 feste Ensemblemitglieder und etwa halb so viel Budget.

Das Burgtheater hat weltweit das größte Ensemble und ist das finanzstärkste Sprechtheater der Welt. Konkret erhielt dieser Theaterriese mehr als 46 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln in der Saison 2015/16. Mit durchschnittlich 850 Vorstellungen pro Jahr auf vier verschiedenen Bühnen (eine davon ist ein separates Theater – das Akadmietheater) zieht es die größte Zuschaueranzahl in Kontinentaleuropa an. Nach der Comédie Française ist die Burg das zweitälteste Theater in Europa und das größte deutschsprachige Theater Europas. Derzeit ist Karin Bergmann künstlerische Leiterin des Burgtheaters, 2019 wird Martin Kušej ihre Nachfolge antreten.

Stefan Bachmann, Andrea Breth, Roland Schimmelpfennig und Michael Thalheimer sind nur einige der renommierten Regisseure, die in der Vergangenheit am Burgtheater inszeniert haben. Paula Wessely, Attila Hörbiger, Josef Meinrad und Paul Hörbiger gehörten einst zu den berühmtesten Künstlern des Burgtheaters. Heute müssen Kirsten Dene, Maria Happel, Klaus Maria Brandauer oder Peter Simonischek im Zusammenhang prominenter Darsteller an der Burg erwähnt werden. Die höchste Ehre für einen Schauspieler in der österreichischen Theaterwelt ist es “Burgschauspieler” zu werden, also festes Ensemblemitglied am Burgtheater zu sein. Tatsächlich widmete Thomas Bernhard einen seiner berühmtesten Romane, “Holzfällen”, dem hohen sozialen Status des “Burgschauspielers”.

Die Nachfrage nach der Crème de la Crème der österreichischen Schauspielkünstler ist extrem hoch, von der Abendkasse bis hinaus zur Vorderseite des Gebäudes bildet sich meist eine lange Schlange. Während das Burgtheater einst nur von der Aristokratie frequentiert wurde, ist es heute für jedermann zugänglich, mit einem Stehplatzticket für nur € 3,50.

Das Volkstheater ist aus der Idee entstanden, ein Gegenstück zum Burgtheater zu schaffen. Sein Zweck, wie Frau Badora während der UTE-Konferenz in Belgrad betonte, “ist es, den Menschen auf der Hauptbühne des Volkstheaters, sowie auf der zweiten Bühne und den 19 Theatern in den Bezirken Theater näher zu bringen.” Das Repertoire des Volkstheaters bietet sowohl Unterhaltung als auch, vor allem, innovatives Theater, das gesellschaftspolitischen Entwicklungen kritisch gegenübersteht.

Neben den beiden größten Sprechtheatern stehen weitere wichtige Häuser hoch im Kurs in Wien, und müssen zumindest kurz erwähnt werden. Diese Theater unterscheiden sich im Inhalt und ihrer Ästhetik von der Burg und dem Volkstheater und richten sich daher zum Teil auch an ein anderes Publikum. Das Theater in der Josefstadt, 1788 eröffnet, ist das älteste Theater Wiens, das seit seiner Gründung ohne Unterbrechung in Betrieb ist. Sein Schwerpunkt liegt auf klassischen österreichischen Texten, einschließlich zeitgenössischer Literatur und Boulevardstücken. Seit 2006 ist Herbert Föttinger künstlerischer Leiter des Theaters.

Das Theater der Jugend mit Thomas Birkmeir als künstlerischem Leiter hat zwei Bühnen, das Theater im Zentrum und das Renaissancetheater, und spielt hauptsächlich Kinder-und Jugendstücke, obwohl es zusätzlich auch Publikumsgenerierung für andere Häuser betreibt.

Neben Theatern, die sich stärker auf das Musiktheater konzentrieren (Theater an der Wien, Ronacher, Raimundtheater), gibt es zahlreiche weitere Häuser in Wien, wie das Schauspielhaus Wien und das Rabenhof Theater, um nur zwei der berühmtesten zu nennen. Außerdem werden Kleinkunstbühnen von den österreichischen Theaterbesuchern äußerst gerne besucht. Eine der meist respektierten und beliebtesten Genres ist das gesellschaftlich-politisch aufgeladene Kabarett, dessen bekannteste Bühne das Kabarett Simpl ist, das einzige Kabarett aus dem 19. Jahrhundert, das noch heute geöffnet ist.

Die Vielfalt der skizzierten Theaterinstitutionen bezeugt die hohe Nachfrage nach Theater in all seinen Ausformungen in der österreichischen Gesellschaft. Dementsprechend schätzen die Österreicher auch die freie Theaterszene. Seit den 90ern boomt die Szene enorm, vor allem aufgrund des hohen Zustroms von internationalen Theaterstudenten, die nach dem Studium in Österreich bleiben. Österreichs renommierteste Schauspielschule, das Max Reinhardt Seminar, nimmt zwar nur 3-12 Studenten pro Jahr auf, aber es gibt immer noch über 50 Schauspiel- und Musikhochschulen, die eine enorme Anzahl an Studenten aus dem Ausland anziehen. Die Vielfältigkeit der (ehemaligen) Studenten und deren ungewöhnlichen und experimentellen Ansätze machen die freie Szene für den versierten Zuschauer besonders attraktiv.

Es gibt drei Arten der Bundes- und Länderförderung für die freie Szene: für ein Jahresprogramm, ein bestimmtes Projekt, für den Produktionsaustausch oder Auslandsreisen. Ein externer Ausschuss, bestehend aus Kulturschaffenden, wählt die besten Projekte und untersucht alle eingehenden Bewerbungen anhand strenger Kriterien (Qualität, Zielgruppe, Innovation, neue Formen des Theaterschaffens, realistische Budgetierung, etc.) Das Komitee trifft eine exklusive Auswahl an Produktionen und Projekten, die höchste künstlerische Qualität und größte Nachhaltigkeit versprechen. 2016 wurde die freie Szene so mit rund 1,5 Millionen Euro gefördert. Vierzehn einjährige Projekte erhielten rund 400.000 Euro an Fördergeldern, während knapp 120 Millionen Euro an 120 freie Truppen vergeben wurden. Darüber hinaus förderte die Stadt Wien die freie Szene mit vier Millionen Euro.

Wien fördert die freie Szene auch durch “Koproduktionsstandorte”, also Theater, die nicht selbst produzieren, sondern ihre Räumlichkeiten freien Künstlern zur Verfügung stellen. Die bekanntesten davon sind das Tanzquartier, das brut und das Dschungel Wien (letzteres ist ein Kindertheater). Während die Proben oft bis zu sechs Wochen dauern, werden “Produktionen [allerdings] oft nicht mehr als zwei- oder dreimal aufgeführt”, beklagte Frau Ruis auf der Konferenz in Belgrad. Aus diesem Grund ermutigt die Bundesregierung freie Künstler, ihre Produktionen ins Ausland zu tragen, da Touren mit zusätzlichen Mitteln gefördert werden können.

Viele freie Künstler sind Mitglieder der IGFT, der 1989 gegründeten Interessensgemeinschaft Freie Theater, einem Netzwerk aus mehr als 1600 freier Theater- und Tanzkünstler, die sich für die freie Szene einsetzen. Das IGFT umfasst Kulturpolitik, Beratung, Öffentlichkeitsarbeit, Infrastruktur, Vernetzung und Kontrolle von Förderungen und Sozialversicherungsbeiträgen, sowie allgemeine Dienstleistungen für freie Theatermacher (Steuern, Abgaben etc.). Das Netzwerk erhält 300.000 Euro vom Bund.

Fördergelder sind bei Theaterinstitutionen an das Subsidiaritätsprinzip gebunden. Das heißt, dass ein Theater von der Gemeinde und vom Land gefördert werden muss, um auch Zuschüsse von der Bundesregierung zu erhalten. Diese Art der Finanzierung ist in der Bundesverfassung fest verankert und zielt darauf ab, die Rechenschaftspflicht zu dezentralisieren und an diejenigen weiterzugeben, die der subventionierten Institution am nächsten sind. Die Hauptverantwortung für Theater liegt daher beim Land und/oder der Stadt und nur in geringerem Maße beim Bund; dadurch wird den lokalen Institutionen mehr Freiheit gewährt. Die Zuschüsse für Staats-, Landes- und Stadttheater, die Vereinigten Bühnen Wien und die Wiener Privattheater beliefen sich in der Saison 2014/2015 auf rund 353 Millionen Euro.

Um Bundesmittel zu erhalten, werden Theater gewisse Bildungsverantwortungen auferlegt. So müssen deutschsprachige und internationale Klassiker, sowie zeitgenössische und neuartige Kunst im Repertoire vorkommen. Darüber hinaus schreibt das Bundestheaterorganisationsgesetz vor, dass künstlerisch riskante Produktionen durchaus aufgenommen werden sollten; Kunst und Theater müssen an die junge Generation herangetragen werden und der Zugang zum Theater einer möglichst breiten Schicht der Bevölkerung ermöglicht werden. Öffentlich geförderte Häuser müssen sich weiters für internationale Zusammenarbeit einsetzen, ganzjährig aktiv sein, und ein fixes Ensemble aufweisen.

Dieses Finanzierungssystem ist durchaus von Erfolg gekrönt, da Österreich jede Saison zahlreiche Premieren auf die Bühne bringt: allein das Burgtheater hat diese Saison 21 Premieren auf dem Spielplan, das Volkstheater 18, das Schauspielhaus Graz 22, das Stadttheater Klagenfurt 10 und das Next Liberty Jugendtheater in Graz hat 15 Premieren geplant. Diese ausgesprochene Produktivität ist zum Großteil der starken Förderung durch öffentliche Gelder zu verdanken, die den Fokus auf die ergiebige künstlerische Arbeit ermöglicht.

Jedes Jahr wird die harte Arbeit der Theater mit Nominierungen für den Nestroy belohnt, dem österreichischen Theaterpreis. Angelehnt an den Pariser Theaterpreis Molière, zielt der Nestroy darauf ab, Österreichs künstlerische Leistungen durch die Ehrung der kreativsten und innovativsten Schauspieler, Regisseure und Dramatiker sowie die besten Eigenproduktionen der Festivals hervorzuheben.

Die Festivalsaison erlaubt es dem kulturbegeisterten Österreicher übrigens, den Sommer, wo Theaterhäuser generell eine Pause einlegen, zu überstehen. Daher finden auch die meisten Festivals im Frühling und Sommer statt. Nachdem Österreich zudem für seine reiche Musiktradition bekannt ist, verbinden viele dieser Festivals die Disziplinen Musik und Theater, wie, zum Beispiel, die weltbekannten Salzburger Festspiele.

Salzburg verdreifacht seine Bevölkerung fast während der sechswöchigen Festspiele, die jedes Jahr im Juli und August stattfinden. Mehr als 250.000 Menschen strömen in die Stadt, um die 200 Veranstaltungen des legendären Festivals zu sehen. Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal sind die Vorväter von dem, was heute als eines der weltweit bedeutendsten Festivals für Musik und zeitgenössische Kunst gilt. Bei der Gründung im Jahr 1920 hatten Reinhardt und Hofmannsthal ein Festival im Sinn, das im Gegensatz zu den Bayreuther Festspielen nicht nur einen einzigen Künstler, sondern eine Vielzahl von Künstlern aus Oper, Orchestermusik und Schauspiel feierte. Seit der ersten Ausführung, werden die Salzburger Festspiele mit ihrem Aushängeschild, Hofmannsthals „Jedermann“ eröffnet. Heute liegt die künstlerische Leitung des Festivals in den Händen von Markus Hinterhäuser.

Seit 1946 bieten die Bregenzer Festspiele, künstlerisch geleitet von Elisabeth Sobotka, in fünf Spielstätten eine Vielzahl von Produktionen, die jedes Jahr im Juli und August rund 200.000 Menschen anziehen. Bekannt sind sie vor allem für ihre schwimmende Bühne am Bodensee, wo ein überlebensgroßes Bühnenbild, die den See in der Regel einbindet, die Kulisse für eine gewaltige Operninszenierung bildet. Theateraufführungen und Konzerte finden in nahegelegenen Veranstaltungsorten statt.

Ein weiterer Höhepunkt der Festivalsaison sind die Wiener Festwochen, die im Mai und Juni im Laufe von fünf Wochen 180.000 Menschen mit einem Programm aus Schauspiel, Oper und Tanz anlocken. Tomas Zierhofer-Kin, künstlerischer Leiter des Festivals, betreut mit seinem Team jährlich rund 175 Vorstellungen und 70 Konzerte.

Innovation ist der erste Gedanke, der einem beim Ars Electronica Festival in Linz in den Sinn kommt, dessen künstlerische Leitung in den Händen von Gerfried Stocker liegt. Das Festival liegt an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft und ist mittlerweile eines der wichtigsten Medienkunstfestivals der Welt. Jedes Jahr zieht es rund 35.000 Besucher an.

Der steirische herbst ist ein weiteres international anerkanntes Festival für zeitgenössische Kunst. 1968 ins Leben gerufen, vereint es alle Formen der Kunst, vom Theater bis zur bildenden Kunst, Film, Literatur, Tanz, Musik, Architektur, Performance und Neue Medien. Das Programm des steirischen herbst zeigt ausschließlich Originalwerke, Weltpremieren und Auftragsarbeiten. Seit 2006 leitet Veronica Kaup-Hasler dieses renommierte Festival, wird aber nächstes Jahr an Ekaterina Degot übergeben.

Weitere wichtige, aber kleinere, Festivals sind La Strada (das Straßenkunstfestival in Graz), ImPuls Tanz (Wiens renommiertes Tanzfestival), die Festspiele Reichenau, Sommerszene Salzburg, SCHÄXPIR und spleen*graz, die internationalen Theaterfestivals für Kinder- und Jugendtheater in Linz und Graz.

Und so geht die Liste der Festivals scheinbar endlos weiter – was im Sommer zu einer potentiellen Theater-Dürreperiode führen könnte, wird so zu einem Meer künstlerischer Ereignisse, das den Theaterhunger der Österreicher stillt.

Seit der Barockzeit und insbesondere seit der Zeit Josephs II. ist das Theater eine zentrale Kulturinstitution in Österreich. Doch es ist die Kombination aus dem großen gesellschaftlichen Respekt für diese Kunstform und einer im europäischen Vergleich äußerst glücklichen finanziellen Lage, die den fortwährenden Wohlstand der kreativen (und auch sonst) reichen Theaterlandschaft Österreichs erst ermöglicht – eine zutiefst privilegierte Situation, nach der sich alle europäischen Vertreter auf der Konferenz über Theaterstrukturen sehnen, was Alexandru Darie vom Bulandra Theater in Rumänien zum Ausdruck brachte, als er sagte: “Dürfen wir bitte alle nach Österreich ziehen?”

 

Published on 5 January 2018 (Article originally written in English)