Ein Raum für alle

Digital Festival Night am Volkstheater Wien

Das Wiener Volkstheater öffnet seine virtuellen Türen und zusammen mit den partizipierenden Ländern Deutschland, Frankreich, Ungarn und Griechenland wird die Theaterbühne zur Tanzfläche für eine gemeinsame Zukunft.

Zur gleichen Zeit sitze ich mit den anderen Besuchern und Partizipierenden in dem schönen Zuschauerraum des Volkstheaters. Die Bühne ist leer bis auf eine Filmleinwand und vier jungen Frauen, die den Abend moderieren und das Wiener Publikum, wie auch die vier partizipierenden Theatergruppen, unterhalten. Die Atmosphäre ist entspannt und erinnert an eine Theaterprobe, alle Türen stehen offen, jeder sitzt wo er möchte. Manche gehen herum, andere sehen sich die zusätzlichen Ausstellungen an. Die Beleuchtung ist geschickt gewählt. Dunkel genug um ein Gefühl von Intimität zu erzeugen, aber auch hell genug, um sich unfallfrei bewegen zu können.

Digital Natives lautet nicht nur der Name dieses Festivals und des Kooperationsprojektes der UTE (Union des Théâtres de l’Europe), er bezeichnet auch die Generation der Teilnehmenden. Sie alle sind mit dem Internet groß geworden und bewegen sich natürlich in ihm. Ihr Zugang spricht von einem an Naivität grenzendem Vertrauen, welches sie nicht nur in das Internet, sondern auch in unsere Zukunft zu setzen scheinen. An diesem Abend darf ich teilhaben an  der Begeisterung und der Zuversicht, mit der sich diese vielen jungen Menschen diesem Projekt gewidmet haben. Das Theaterstück Concord Floral von Jordan Tannahill ist der Knotenpunkt, der alle partizipierenden Theater zusammenbringt. Das Junge Volkstheater hat die österreichische Erstaufführung bereits 2018 realisiert. Für das Projekt #digitalnatives19, co-finanziert durch das Creative Europe Programm der Europäischen Union, hat Wien mit Silver Surfer eine Weiterführung des Stücks inszeniert, während die anderen Länder in den letzten Wochen und Monaten Neuinszenierungen von Concord Floral auf die Bühne gebracht haben.

Zurück im Zuschauerraum hat die Moderation für das Wiener Publikum nun geendet und die Live-Schaltung zu den anderen Theatergruppen beginnt. Den Anfang macht das Schauspiel Köln. Hier erklären die jungen Schauspieler_innen kurz ihren Zugang zu dem Stück. Sie haben viel von dem Original umgeschrieben und sich dabei den Text neu angeeignet und um mehrere Choreografien erweitert. Der anschließend gezeigte Trailer zeigt ein futuristisches Bühnenbild und mit vielen Tanzeinlagen, die Körperlichkeit des Stücks wirkt hier greifbar nahe.

Die Leidenschaft für das Theater vereint sie alle, wie ein junger Schauspieler von der Comédie de Reims im Making-of über das französische Projekt sagt. Wir sehen den jungen Mann bei den Proben lachen und weinen, wie er gegen eine menschliche Mauer läuft, um in der nächsten Szene eine zärtliche Umarmung darzustellen. Die Live-Schaltung nach Frankreich zeigt allerdings, dass auch wenn die Technik für ein grenzenfreies Miteinander theoretisch vorhanden wäre, es dann doch an der praktischen Umsetzung scheitern kann. Die Präsentation der Franzosen hören wir leider nicht, aber der Trailer zeigt eine Inszenierung, die sich nahe am Original haltet. Kein Wunder, hatten die Franzosen auch nur zwei Wochen Zeit für ihre Umsetzung. Das Bühnenbild zeigt eine fast leere Bühne mit einer Couch, das Stück lebt von dem Text, den die Schauspieler_innen intensiv ausfüllen. Hier ähnelt es stark dem Trailer des Hungarian Theatre of Cluj. Auch hier scheint sich die Inszenierung stark am Original zu orientieren, statt der Couch sehen wir ein Glashaus im Hintergrund.

Während wir den jungen Menschen aus den anderen Ländern zuhören, wandern in Wien weiterhin Besucher_innen durch das Theater. In einer Loge erfüllen die Personen mit Hilfe einer 3D-Brille Aufgaben, in einem Gang kann sich der müde gewordene Gast niederlegen und eine Video- und Sound Installation genießen. Der Fachbereich Experimentelle Medien der FH St. Pölten bespielt die Gänge und Salons des Volkstheaters mit Projekten, die anhand digitaler Techniken einen Austausch mit den Betrachter_innen suchen. Besonders beeindruckt hat mich hier das Projekt Infinity frames. Wer in den Rahmen blickt, steht auf einmal sich selbst gegenüber. Dieses Projekt ermöglicht der betrachtenden Person, einen Blick auf sich zu werfen, wie es sonst nur den anderen möglich ist. Der eigene Erfahrungsrahmen wird erweitert, in diesem neuen Raum erleben wir uns nicht nur von innen, sondern zum ersten Mal auch als unser Gegenüber.

Zurück im Theatersaal ist gerade Wien an der Reihe. Die Gruppe vom Jungen Volkstheater erzählt von ihrem Zugang zu dem Stück und ihrer Entscheidung, es ins Deutsche zu übersetzen. Wien hat als einzige Bühne Concord Floral in die eigene Sprache übersetzt und versucht, anhand von Dialekt und persönlichen Erfahrungen das Stück zu erweitern. Auch das Bühnenbild hat hier eine ganz eigenwillige Form angenommen.

Als letztes sehen wir das National Theatre of Nothern Greece. Sie haben einen ganz anderen Zugang zu dem Stück gewählt und statt einer Inszenierung sind zwei neue, aus dem Text heraus erarbeitete Workshops entstanden. Die Jugendlichen stellen sich einander in einer Mischung aus Interview und Vernehmung die vielen Fragen, die in dem Stück aufkommen. Die spontan wirkenden Antworten zeichnen ein faszinierendes Bild darüber, was es bedeutet, in unserer Gegenwart erwachsen zu werden. Im zweiten Workshop wenden sich die Darstellenden an die eigenen Eltern wie auch an das Publikum. Erklärungsversuche werden angeboten, die Schauspieler_innen plädieren für mehr Verständnis, vor allem aber zu mehr Vertrauen.

Aus dieser großen Präsentationsrunde tauschen sich die fünf Theatergruppen noch in einer lockeren Q & A Runde aus. Wien erzählt von den Freundschaften, die sich während der Proben gebildet haben und die sich in dem Stück widerspiegeln. Ungarn liefert weiterhin die meisten Lacher. Köln beginnt bereits mit den ersten Tanzeinlagen und Frankreich hören wir leider noch immer nicht. Griechenland geht für mich bereits dezent in der beginnenden Party unter. Am Ende tanzen alle auf ihren Bühnen und feiern sich und den erfolgreichen Abschluss ihres Projektes. Bewusst oder unbewusst feiern sie auch die Europäische Idee, die sie alle zusammengebracht hat. Über einzelne Ländergrenzen hinaus vereint das Internet und das Theater all diese jungen Menschen und motiviert sie, für etwas Größeres zusammenzuarbeiten. Sie alle sind dem Zauber des Theater verfallen und seinen Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen und in die Welt hinauszutragen. Und wir brauchen sie, diese vielen Perspektiven auf unser Gegenüber, die Verständnis erzeugen und unser Mitgefühl ansprechen. Wir leben in schwierigen Zeiten, aber an Abenden wie diesen scheinen alle Türen offenzustehen. Das Theater bewahrheitet sich als ein Raum, wo alles möglich scheint und auch möglich ist.